Welt der Naturwissenschaften
(Scientific Medley)

 Jahresübersicht 2007

Frei bist du, wo man dich nicht liebt.
(Elias Canetti)


18. April 2024


zurück Übersicht weiter

CARGO CULT (1)


Der Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman hat 1974 anlässlich einer Festrede vor einem Abschlussjahrgang der Elite-Universität California Institute of Technology („Caltech“) einen interessanten Ausdruck verwendet. Feynman sprach von „Cargo Cult Science“. Das Wort kann nicht unmittelbar übersetzt werden, im Deutschen spricht man von Kargo-Kult-Wissenschaft. Der Ausdruck „Cargocult“ bezeichnet eine (natur-)religiöse Richtung, die das nahe Ende der gegenwärtigen Welt zu erkennen glaubt. Cargo Cult Science ist nach Feynman eine Form von Wissenschaft, die im Gegensatz zu den vielen Pseudowissenschaften (Astrologie, Wünschelruten, Kreationismus u.a.) die formalen Kriterien einer wissenschaftlichen Vorgehensweise erfüllt, der es aber an Integrität und Geschlossenheit mangelt. Cargo Cult Science kann auch als Inbegriff der Selbsttäuschung gesehen werden.

Feynman beschreibt ein Beispiel für Cargo Cult Science. Auf den pazifischen Samoainseln bewunderten die Einheimischen die Flugzeuge, die während des 2. Weltkrieges gelandetet waren und faszinierende Dinge gebracht hatten. Bald darauf entwickelte sich ein merkwürdiger Ritus. Die Eingeborenen legten künstliche Landebahnen an, neben denen sie Feuer entzündeten, um die Signallichter nachzuahmen. In einer Holzhütte hockte ein Eingeborener mit hölzernen Kopfhörern, aus denen Bambusstäbe ragten, die Antennen darstellen sollten. Auch Radartürme aus Holz wurden gebaut und einige andere scheinbar wichtige Geräte um so die Flugzeuge anzulocken, die ihnen mehr schöne Dinge bringen sollten. Sie machen der Form nach scheinbar alles richtig, aber es funktionierte nicht. Kein einziges Flugzeug landete.

Feynman wollte sich nicht über die Eingeborenen lustig machen. Er verwendete das Beispiel nur um seinen Studenten klar zu machen, wie schwer manchmal Cargo-Cult von konsistenten Wissenschaften zu unterscheiden ist. Es ist so gut wie unmöglich, den Betreibern einer Cargo Cult Science die Aussichtslosigkeit ihres Bestrebens zu erklären, denn nichts ist so mächtig wie eine Selbsttäuschung.

Cargo Cult Science geht immer schief und bringt garantiert keinen Erfolg, aber nicht jedes wissenschaftliche Projekt, das kein Ergebnis bringt, ist Cargo Cult. Scheinerfolge können sogar mit echten Erfolgen verwechselt werden. Wäre ein verirrtes Flugzeug zufällig auf einer der Pisten der Eingeborenen gelandet, wäre dies für eine Bestätigung der (in Wahrheit wirkungslosen) Maßnahmen gehalten worden. Feynman ermahnte seine Studenten eisern, das eigene Tun ständig zu hinterfragen und nie aufzuhören, nach den unzähligen Fallen der Selbsttäuschung zu suchen.




© 2007 Rudolf Öller, Bregenz


Frontpage Übersicht Sitemap Joker Kontakt und Videos
1996 1997 1998 1999 2000
2001 2002 2003 2004 2005
2006 2007 2008 2009 2010
2011 2012 2013 2014 2015
2016 2017 2018 2019 2020
2021 2022 2023 2024

Helden der Wissenschaft:
Robert Andrews Millikan
(1868-1953)
hatte die scheinbar verrückte Idee, Öltröpfchen in einem elektrischen Feld schweben zu lassen und vermaß damit erstmals die elektrische Elementarladung.

Silvia liest

Rudolf Oeller:

"Theke, Antitheke, Syntheke"
(Thriller über eine tragikomische Stammtischrunde auf dem Weg in den Tod)
Verlag novum, Zürich. ISBN 978-3-99130-025-0

"Wir waren eine großartige Bande von Stammtischbrüdern an der deutsch-österreichischen Grenze, auch zwei Stammtischschwestern waren dabei. Wir pfiffen auf alle Corona-Bestimmungen und trafen uns an jedem Freitag – eine verschworene Truppe, fast schon ein Dream Team. Drink Team trifft es allerdings besser. Voll Hoffnung starteten wir ins Coronajahr 2020, am Ende wurde es eine teils fröhliche, teils depressive Reise in den kollektiven Tod."

Das Buch ist bei Amazon, bei anderen Online-Händlern, beim Verlag und auch im Buchhandel erhältlich.

Interview zum Buch